Das Wort essen

Ich bin in einem gläubigen Elternhaus groß geworden und mein Papa hat immer gesagt "Hast du heute schon in der Bibel gelesen?" Das fand ich immer sehr unangenehm. Als Jugendlicher mag man  es nicht, wenn die Eltern einem irgendwie reinreden wollen und einem sagen, was man machen oder nicht machen soll. Für mich war das nur eine Pflichterfüllung. Es fehlte manchmal der Zugang. Du hast das Wort vor dir liegen, du liest es, aber da geht nichts rein. Und ich habe mich immer gefragt, woran das wohl liegt. Dann gibt es ja auch diese Bibelleseheftchen mit Fragen zum Bibeltext und mit Hintergrundinformationen, um dir eine Hilfestellung zu geben. Und ich habe gemerkt, es ist so mühsam, an die Nahrung ranzukommen. Ich habe mich immer gefragt, wie es sein kann, dass mir das Wort Leben gibt.

Mir ist es erst klar geworden, als ich die Gemeinde kennengelernt habe. Am Anfang fand ich es durchaus befremdlich zu sehen, wie die Geschwister einen Vers lesen, ihn immer wieder unterbrechen und Amen sagen. Ich sagte mir: “Jetzt lest doch einmal den Vers komplett durch und unterbrecht ihn nicht immer. Was soll denn das?” Aber dann bemerkte ich selber den Unterschied. Der Unterschied kommt daher, wenn du das Wort als dein Gebet formulierst, dann wird es irgendwie zu deiner Nahrung, dann geht es in deinen Geist hinein. Dann vermischt es sich mit deinem Glauben. Es hängt nicht nur hier oben im Kopf, schwirrt da drin herum und du fragst dich ständig, was es dir jetzt zu sagen hat. Manchmal hat es dir auch nichts zu sagen, weil nicht jedes Wort dir gleich aufgeht. Aber durch dieses betende Lesen vom Wort, da schließt sich dir ein Geschmack auf. Und ich habe gemerkt, das Wort bleibt dir dadurch auch im Herzen, ohne dass du es auswendig lernst. Du hast nachher auf einmal einen Schatz bei dir, nur dadurch, dass du das Wort gekaut hast. Auch wenn du es manchmal gar nicht mit deinem Verstand erfassen kannst, was du gerade liest oder betest. Es korrespondiert mit deinem Geist tief in deinem Inneren und wird plötzlich lebendig.

Das ist eine Übungssache. Wenn du deinen Mund verschlossen lässt, auch beim Wort lesen, dann bleibt es meistens da oben im Kopf hängen und geht nicht unbedingt ins Herz. Ich brauche auch meinen Mund, wenn ich das Wort aufnehme. Das ist ja beim Essen auch so. Wenn ich mir das nur anschaue und analysiere, was auf meinem Teller liegt, hat es noch nicht so den Effekt, wie wenn ich die Speise wirklich in den Mund nehme und sie schmecke. Das ist der Unterschied. So müssen wir mit dem Wort auch umgehen, nicht vom Verstand her, sondern einfach mit dem Geist zusammen.

Cl.K.